Comics aus China: Entertainment – Realitäten – Propaganda?

03.04. – 23.09.2024: Foyer der CATS-Bibliothek
27.03. – 07.05.2023: Völkerkundemuseum vPST (Heidelberg)
Poster Comics aus China
Gestaltung: Susann Henker

Außerhalb Chinas werden chinesische Comics aus der Zeit vor dem Jahr 2000 (Lianhuanhua 连环画) oft verkürzt als Propagandainstrument der Kommunistischen Partei wahrgenommen. Dies wurde in neuerer Zeit kontrastiert durch einen „jungen“, oft „dissident“ missverstandenen Comic aus China, der die Ästhetik japanischer Manga aufgreift und in poppige Bildwelten umsetzt. An zwei Standorten zeigt die Ausstellung die Bandbreite der künstlerischen Produktion der Jahre 1949 bis 2000 und zeichnet damit ein differenzierteres Bild dieser Comics. Dabei sollen die präsentierten Themenschwerpunkte dazu anregen, sich selbst ein Bild von der Darstellung chinesischer Literatur, erlebter oder erwünschter Realität sowie politischer Vision in diesen Comics zu machen.

Während in der CATS-Bibliothek Themen im Mittelpunkt stehen, die das Leben in der Volksrepublik China sowie die Moderne behandeln, nimmt sich das Heidelberger Völkerkunde-Museum vPST des literarischen Erbes Chinas an und zeigt die Behandlung und Modifikation dieses Erbes in der Volksrepublik.

Sondersammlung chinesischer Comics in der CATS-Bibliothek

Das weißhaarige Mädchen

Die traditionelle Comicform der Lianhuanhua war von 1949 bis in die 1980er Jahre hinein ein wesentlicher Bestandteil der Unterhaltung in der VR China. Sie waren fester Bestandteil der Kulturbürokratie der Partei und damit auch Instrument der Bildung wie der Indoktrination. Das weißhaarige Mädchen Ihr Zielpublikum beschränkte sich nicht auf Kinder, vielmehr galt es, die „Massen“ zu versorgen. In den großen Produktionszentren Shanghai, Tianjin, Wuhan und Beijing wurde parallel an Lianhuanhua gearbeitet, die auf den gleichen literarischen Vorlagen oder Geschichten aus dem Alltag fußten. Gelesen wurden sie auf der Straße unmittelbar neben den Verleihständen privater, später staatlicher Bibliotheken – individuell gekauft wurden die Hefte erst ab den 1980er Jahren. Ihr Konsum war öffentlich und Teil des kulturellen Lebens auf der Straße, im Betrieb, in der Schule oder im Kindergarten.

 

StalinAn den Lianhuanhua kann man Veränderungen der Gesellschaft und der Politik ablesen und nachzeichnen – sie sind nicht nur Dokumente der Entwicklung, sie haben diese Entwicklung mitgeprägt, haben Debatten angeregt, Widerspruch erzeugt, den Mainstream repräsentiert. Die gezeigten Beispiele sind ein Ausschnitt aus der am CATS vorhandenen Sammlung chinesischer Comics. Es sind bewusst nicht die scheinbar repräsentativen Beispiele, die man immer sehen wird, sondern unsere individuelle Auswahl: Sie sollen Lust machen, das Medium selbst zu entdecken. Die hier gezeigten Beispiele sind in fünf Gruppen unterteilt:

Sun Wukong durchstreift das Weltall- mit FÜR KINDER 儿童 sind Lianhuanhua überschrieben, die gezielt für Kinder gemacht wurden. Das Medium Lianhuanhua hat sich nur am Rande ausdrücklich mit dem Entertainment von Kindern beschäftigt – oftmals waren die Inhalte wenig für Kinder geeignet, auch wenn dies in unserem Verständnis von Comic am nächsten liegen mag.

Die Kindheit von Lei Feng- ROTE HELDEN 英雄 sind das typische Motiv, wenn man an Comics aus der Volksrepublik China denkt – Helden wie Lei Feng, Jiang Jie oder Zhao Yiman dienen bis heute als Vorbilder für die Gesellschaft. Selbst wenn die Darstellung der Revolutionsgeschichte ein wesentlicher Bestandteil der Lianhuanhua-Produktion war, so stellt es eben nur einen Anteil dar. Unsere Beispiele erinnern an die bekannten Figuren.

Auf fruchtbarer Erde- mit AUF DEM LAND 农村 eröffnen wir einen Blick auf Lianhuanhua als Dokumente des Wandels. Die Darstellung der ländlichen Entwicklung im Lianhuanhua folgt dabei realen Veränderungen, versucht aber auch, die „Zukunft“ des ländlichen Lebens abzubilden. Die Konzentration auf Motive vom Land mag dabei nur ein Beispiel sein, wie sich auch andere Lebensbereiche in diesen Comics widerspiegeln.

Star Wars- unter der Überschrift ANDERE LÄNDER 外国 subsummiert sich die Behandlung ausländischer Stoffe aus aller Welt. Für die Macher von Lianhuanhua war es in ihrem Kulturauftrag klar, auch die Geschichten und Ereignisse aus anderen Ländern einem chinesischen Publikum bekannt zu machen. Es bleibt eine Unterstellung, dass nur solche Geschichten eine Adaptation im chinesischen Lianhuanhua gefunden haben, die dem sozialistischen Auftrag entsprachen: Phasenweise konnte alles bearbeitet werden, was ein Publikum fand – selbst Shakespeare und Star Wars.

Dritte Schwester Yang geht vor Gericht- in VON DER LEINWAND 电影 werden Beispiele von Foto-Lianhuanhua gezeigt. Solche Hefte verlängerten die Reichweite der Filme in die breite Gesellschaft: Bibliotheken an der Straßenecke waren häufiger anzutreffen als Kinos. Lianhuanhua füllen hier eine Lücke, gerade in Zeiten, in denen für die Mehrheit der Bevölkerung ein Besuch des Kinos unmöglich war. Dass sich unter den Beispielen auch Fernsehserien oder –filme der 1980er Jahre finden, mag als ein Beleg für die Beliebtheit des Formats Lianhuanhua gewertet werden.

Zur Ausstellung

Die Ausstellung fußt auf der Idee, einen Bereich der vielfältigen Sammlungen der CATS-Bibliothek einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Mit über 2500 Einzelobjekten verfügt die Bibliothek über eine der größten China-spezifischen Comic-Sammlungen außerhalb der Volksrepublik China. Die Themen und Objekte der Ausstellung wurden im Rahmen einer Lehrveranstaltung im Wintersemester 2022/2023 von Studierenden erarbeitet.

Kuratoren:
Robert Bitsch | Völkerkundemuseum der von Portheim Stiftung
Hanno Lecher | Centre for Asian and Transcultural Studies (CATS), CATS Bibliothek

Gesamtkonzeption, Objektauswahl, Bearbeitung:
Dr. Andreas Seifert

Wissenschaftliche Begleitung:
Dr. Monica Klasing Chen | Centre for Asian and Transcultural Studies (CATS), Institut für Kunstgeschichte Ostasiens

Gestaltung:
Susann Henker | Centre for Asian and Transcultural Studies (CATS), Institut für Kunstgeschichte Ostasiens

An der Ausstellung haben folgende Studierende mitgewirkt:
Lennart Büsker (Rote Helden), Soluna Garms (Andere Länder), Jiahui Ni (Theater im Comic), Mona Schreiner (Für Kinder), Emma Springsguth (Auf dem Land), Kexin Wang (Übernatürliches), Helen Weirich (Von der Leinwand).

Die Ausstellung wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung des Konfuzius-Instituts Heidelberg.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 08.03.2024
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